Gedichte im Islam
Der Groschen

von Saadi aus dem "Fruchtgarten". aus dem Persischen übersetzt von Otto Hauser

Es gab einst ein Jüngling nach Mitleids Gebot
Ein Groschenstück hin einem Greisen in Not.
Von ungefähr lud er auf sich ein Vergeh'n,
Schon sollt' auf der Richtstatt das Urteil gescheh'n.
Es laufen die Türken, das Volk lärmt und brüllt,
Das Türen und Straße und Hausdächer füllt.
Als elend gefangen der Bettelmann da,
Der alte, den Jüngling vorbeiführen sah,
Ergriff um das Unglück des Armen ihn Schmerz,
Der einst ihm bewiesen sein gütiges Herz,
Und laut rief er aus: Unser Sultan ist tot!
Er ging aus der Welt, wo er ruhmvoll gebot,
Und rang seine Hände in Jammer und Leid.
Es hörten's die Türken, das Schwert schon bereit,
Sie stießen Geschrei aus wie sinnesberaubt
Und schlugen sich Schultern und Antlitz und Haupt.
Und Hals über Kopf dringt man scharweise schon
Zum Schloß, und da sitzt noch der Fürst auf dem Thron.
Der Jüngling entwich, doch, mit Banden umschnürt,
Ward jener am Nacken zum Sultan geführt.
Und der, von Bestürzung erschüttert, begann
So sprich, warum wünschtest den Tod du mir an?
Auf Recht ist und Wahrheit mein Sinn nur gestellt,
Warum also wünschest du Unheil der Welt?
Mit kühnlicher Zunge begann da der Greis -
Oh du, dessen Sklaven die Erde sich weiß,
Mein lügnerisch Wort - Unser Sultan ist tot,
Gab einem das Leben in Elend und Not.
Mit Staunen dann hörte der Fürst den Bericht
Und gab ein Geschenk ihm und tadelt' ihn nicht.
Der Jüngling jedoch eilte fort durch das Land,
Versagt' auch die Kraft, bis er Sicherheit fand.
Sprach einer zu ihm: Auf dem Richtplatze, sprich,
Was tatst du, was war es, was rettete dich?
Da sagt' er ins Ohr ihm: Oh nimm's nicht für Scherz:
Mich haben ein Groschen befreit und ein Herz.

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