Gedichte im Islam
Der Dorn

von Saadi aus dem "Fruchtgarten". aus dem Persischen übersetzt von Otto Hauser

0 labe die Waise am schattigen Born,
Wasch ab ihr den Staub und zieh aus ihr den Dorn!
Wie schwer sie bedrückt ist, o weißt du es nicht?
Gedeiht wohl ein Baum, dem die Wurzel gebricht?
Erblickst du die Waise, das Haupt senkend, lind
Dann küss' sie, als wär' sie dein eigenes Kind.
Wer stillt, wenn sie weint, ihr mit Tröstung den Schmerz,
Und wenn sie ergrimmt, wer besänftigt ihr Herz?
O dass sie nicht weine! Mit Recht ward gemeint:
Der Himmelsthron bebt, wenn ein Waisenkind weint. N
ein, trockne vom Aug ihr die Träne, die quillt,
Und wische den Staub ihr vom Antlitze mild.
Und ward ihr der Schatten vom Haupte geraubt,
In deinem barmherziglich birg du ihr Haupt.
Auch mein Haupt war einst mit der Krone geschmückt,
Als ich's in den Schoß meines Vaters gedrückt,
Wenn einst mich der Stich einer Mücke verletzt,
So wurden in Unruhe viele versetzt.
Doch schleppten die Feinde zum Kerker mich nun,
Es würde zur Rettung kein Freund etwas tun.
Die Schmerzen der Kinder, ich weiß, wie sie sind,
Denn selbst meinen Vater verlor ich als Kind.
Der einst einer Waise, der Herr von Chodschend,
Den Dorn aus dem Fuß zog, in blum'gem Geländ
Erschien er im Traum wem und sagte: 0 sieh,
Zu wie vielen Rosen der Dorn mir gedieh!

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