Gedichte im Islam
Der verkaufte Esel

von Dschalaleddin Rumi

Ein Sufi kam vom Wege in ein Kloster,
nahm seinen Esel und zog ihn zum Stall,
gab selbst ihm etwas Wasser, etwas Futter
(nicht wie der Sufi, von dem wir erzählten).
Er hütete ihn wohl, besorgte ihn —
doch wenn das Schicksal kommt, was nützt die Vorsicht?
Die Sufis hatten Mangel, waren arm:
«Und Armut ist schon fast Unglaube», heißt‘s.

Du Reicher, der du satt bist, lache nicht
des krummen Weges, den ein Armer geht!

Aus Elend dachte diese Sufi-Horde:
Den Esel zu verkaufen wär‘ das Beste.

Denn Not macht Aas selbst zur erlaubten Speise,
wie manches Übel ward, aus Not, zum Nutzen!

Sogleich verkauften sie das Eselein
für Kerzen, Zuckerwerk und Knabberein.

Da gab's Geschrei im Kloster: «Heute Nacht
gibt's Süßes, Tanz, da wird Musik gemacht!
Wie viel noch Betteln und noch Bettlerkorb?
Wie lang noch Fasten und Geduld und Hunger?
Wir sind auch Menschen, haben auch ein Leben -
heut Nacht ist uns das Glück als Gast gegeben.»...
Der Reisende war müd' vom langen Wege
und sah dann dieses Glück, das Fest, das rege.
Die Sufis sorgten liebevoll für ihn,
bedienten höflichst ihn, wie es ihm schien.
Er dachte, als er's sah: «Wie nett sind sie!
Vergnüg’ ich heute mich nicht, dann wohl nie.»

Sie aßen kräftig, und der Tanz begann.
Das Kloster füllt' mit Rauch und Staub sich an.
Der Küchenrauch, der Staub vom Füße-Stampfen -
in Sehnsucht und Ekstase dieses Dampfen!
Jetzt stampften sie und breiteten die Hände,
jetzt warfen sie sich hin, den Boden fegend.

Der Sufi findet selten nur ein Mahl,
drum isst der Sufi viel und gern einmal.
Nur jener Sufi nicht, den Gottes Licht
gesättigt hat, kennt Hungers Schande nicht.
Doch wenig solche gibt es unter tausend -
die anderen leben unter deren Schulz.
Als nun der Tanz sie alle sehr gepackt,
begann der Sänger mit gewaltigem Takt:
«Ha! Fort der Esel, fort der Esel, fort!»
Sie wurden alle wild von diesem Wort
und stampften bis zum Morgen, toll erhitzt
und klatschten «.Fort der Esel, Esel fort!»

Und jener Sufi tat es ihnen nach
und sang auch «Fort der Esel, Esel fort!»

Als Tanz und Rausch und Glut zu Ende war,
da kam der Tag, und jeder sprach: «Lebt wohl!»
Das Kloster wurde leer, der Sufi blieb
und schüttelte den Staub von seinem Zeug;
aus seiner Zelle bracht' er sein Gepäck,
um es dem Esel aufzuladen schnell.
Er eilte, die Gefährten einzuholen;
er ging zum Stall, sein Eselchen zu holen.
«Der Diener führte ihn vielleicht zur Tränke,
denn gestern trank der nicht, wie's ihm gebührt,»
dacht er. Der Diener kam: «Wo ist der Esel?»
Der sprach: «Nun guck dir diesen Blödmann an!»
«Ich hatte dir den Esel übergeben;
ich hatt' ihn dir zu treuer Hand gegeben.
Nun rede klar und bringe nicht Beweise -
was ich dir gab, das gib sofort zurück!
Ich will von dir das, was ich dir gegeben,
ja, gib mir das zurück, was ich dir gab!...
Sprach der Prophet: «Was deine Hand getragen,
mußt du im Jenseits bringen und es zeigen!»
Und bist du, störrisch, damit nicht zufrieden,
dann sehen wir uns bei dem Richter wieder!»
Der sprach: «Von Sufis war ich überwältigt;
sie griffen an, ich fürchtet' um mein Leben.
Wirfst unter Katzen du ein Stückchen Leber,
dann such mal, ob du etwas davon findest!
Ein Stückchen Brot vor hundert Hungrigen,
gerupfte Katze unter hundert Hunden!
Er sprach: «Ich nehme an, sie zwangen dich
gewaltsam, und sie wollten nur mein Blut;
denn warum kamst du nicht, um mir zu sagen,
«Sie haben deinen Esel fortgetragen?.
Damit den Esel ich zurück mir kaufe,
da sie mein Geld sonst anderweit verteilen.
Als sie hier waren, gab es hundert Wege:
Doch jetzt ging jeder in ein andres Land.
Wen soll ich fassen? Wen zum Qadi bringen -
Das kam nur deinetwegen über mich!
Wie konntest du nicht kommen und mir sagen:
«Solch Unglück, Armer, hat dich hier geschlagen.»?.»
Der sprach: «Bei Gott! Ich bin paarmal gekommen,
um dir von dieser Sache zu berichten,
doch du hast auch gesagt: «Der Esel fort» -
noch fröhlicher als andre klang dein Wort.
So kehrt' ich um: Der weiß ja schon Bescheid!
Er ist's zufrieden, wahrer Weiser er!»
Er sagte: «Alle sangen das so fein -
das machte Spaß; so stimmte ich auch ein.
Dass ich sie nachgeahmt, hat mich vernichtet -
Verflucht sei, was mich so zugrundgerichtet!»

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