Gedichte im Islam
Kabil und Habil

von
Friedrich Rückert

Kabil und Habil sind die arabischen Namen für Kain und Abel. Sie symbolisieren als die Kinder Adams und Evas das Gute und das Böse, welches beide im Menschen schlummert. Ihre Geschichte ist im Heiligen Qur´an in der Sure 5 (der Tisch) 27-32 dargelegt.

„Und verlies ihnen den Bericht über die zwei Söhne Adams der Wahrheit entsprechend. Als sie ein Opfer darbrachten. Es wurde von dem einen angenommen und von dem anderen nicht angenommen. Der sagte: ‚Ich schlage dich tot.“ Er sagte: „Allah nimmt es nur von den Gottesehrfürchtigen an. Auch wenn du deine Hand nach mir ausstreckst, um mich zu töten, so werde ich meine Hand nicht nach dir ausstrecken, um dich zu töten. Ich fürchte Allah, den Herrn der Welten. Ich will dann, dass du meine Sünde und deine Sünde auf dich lädst und so zu den Leuten des Feuers gehörst. Das ist die Vergeltung für die, die Unrecht tun.’ Seine Seele trieb ihn dazu, seinen Bruder zu töten. Er tötete ihn und wurde der Verlierer einer. Allah schickte einen Raben, der in der Erde scharrte, um ihm zu zeigen, wie er die Leiche seines Bruders bedecken könne. Er sagte: ‚Wehe mir! Bin ich nicht fähig, wie dieser Rabe zu sein und die Leiche meines Bruders zu bedecken?’ So wurde er einer von denen, die bereuen.“

Die Geschichte endet im Heiligen Qur'an mit dem islamischen Grundsatz, dass der jemanden tötet, so ist, als hätte er die gesamte Menschheit getötet, und derjenige, der ein Leben rettet, so ist, als hätte er die gesamte Menschheit gerettet. Rückert konzentriert sich bei seinem Gedicht auf die Tatsache, dass das Böse vom Raben stamme. Die Zuweisung eines bösen Geistes an den Raben, wie es Rückert ursprünglich tut, entspricht allerdings nicht der islamischen Vorstellung. Auch wird die Reue Kabils in dem Gedicht nicht berücksichtigt. Das lange Gedicht wird hier daher nur verkürzt wiedergegeben:

Friedlich lebten ohne Fehden
Mensch und Tier im Garten Eden.
Als sie waren d’raus vertrieben,
War die Eintracht noch geblieben;
Der Verbannung Roth und Plagen
Half das Tier dem Menschen tragen.
Schafe gaben ihre Wolle,
Dass er nackt nicht frieren solle,
Und das Rind geduldig trug
Für sein Brot das Joch im Pflug.
Doch das Leid kam halb genug.
Als mit Bruder Bruder grollte,
Kabil Habil morden wollte,
Blieb´ vom Grimm, hier angeschürt;

...

Und als er des Bruders Schlaf
Mit der scharfen Waffe traf,
Sank er hin in Todesschlaf.

...

Er begann den Tod zu schmecken
In des Bruders Tod mit Schrecken.
Mit der Reue grins’t die Sünde
So ihn an, dass in die Schlünde
Er des Abgrunds, in die Gründe
Möchte sich des Meers verstecken,
Sich dem Anblick zu verdecken.
Doch die Sünde zu begraben
Lernt’ er auch von jenem Raben,
Der nicht lange still verharrte,
Und in’s Loch den Bruder grub,
Munter dann hinweg sich hub.
Kabil bracht’ auch Habil’n unter,
Doch hinweg ging er nicht munter,
Unstet ohne Rast und Ruh’.
„Mörder, Brudermörder du!“
Riefen Berg und Thal ihm zu...

von Friedrich Rückert aus
Sieben Bücher morgenländischer Sagen und Geschichten", Stuttgart 1837

© seit 2006 - m-haditec GmbH - info@eslam.de