Gedichte im Islam
Josef im Kerker

von
Friedrich Rückert

Als im Kerker Josef hat
Ausgelegt den Traum dem Schenken,
Und den frei Entlassnen hat,
Sein beim König zu gedenken,
Doch ihn der im Glück vergaß,
Josef nun voll Kummer saß,
Und der Welt Undank ermaß

Zu ihm eintrat Gabriel
Und im Kerker ward es Licht:
„Was betrübet deine Seel’,
Ob ein Mensch die Treue bricht?
Sprich, wer tat’s dass du dem Bronnen
Und der Brüder Neid entronnen?“
Josef sprich: Gott hat’s begonnen.
„Und wer hat dich los gemacht

Von dem Band der Buhlerei,
In den Kerker dich gebracht,
Dass du bliebest sündenfrei?“
Gott. „Wer wird dich nehmen nun
Aus dem Kerker?“ Gott wird’s tun.
„Also lass den Schenken ruh’n.
„Schäme dich des Kleinmuts gegen
Deinen Ahnherrn Abraham!

Als ihn ließ in Gluten legen
Nimrod, und ich zu ihm kam:
Womit dienen kann ich dir?
„Helfen kann sein Diener hier,
Nur der Herr wird helfen mir!“
„Schäme dich der Zagheit gegen
Isaak, deines Vaters Vater,
Der sich auf den Holzstoß legen

Ließ, und nicht den Mund auftat er.
Als das Messer ward gezückt,
Hat er nicht sich weggebückt,
Darum ward er ihm entrückt.
„Gegen deinen eignen Vater,
Jakob, schäme, schäme dich!
Sich um dich gegrämt hat er,

Gräme noch und grämet sich.
Seine Augen weint’ er blind,
Doch es tröstet ihn der Wind
Mit dem Duft von seinem Kind.
„Doch weil du in Ungeduld
Menschenhülfe sprachest an,
Sei dein Kerker für die Schuld
Sieben Jahr’ unaufgetan.

Dann wird deiner Gott gedenken,
Er, nicht jene, wird es lenken,
Welche Wein den Kön’gen schenken.“

von Friedrich Rückert aus
Sieben Bücher morgenländischer Sagen und Geschichten", Stuttgart 1837

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