Gedichte im Islam
Der Ausgestoßene

von
Friedrich Rückert

Manche Pflanze zu veredeln,
Darf man nur den Boden wechseln;
So wird auch mach böses Herz
Gut in andrer Lage.
In der Wüst’ ein Räuber, würde
Bei der Stadt ein tapfrer Krieger,
Und ein Taugenichts der Stadt
In der Wüst’ ein Heil’ger.
Grad’ ein solcher lebt’ im Volke
Israels zu Mosis Tagen,
Der der ganzen Nachbarschaft
Unlass gab zu Klagen;
Seinem Vater ungehorsam,
Seiner Mutter widerspenstig,
Seinen Brüdern ungefüg,
Untreu seinem Weibe.
Und zuletzt sprach Gott zu Mose:
Räum’ hinweg den Friedenstörer,
In der Wüsten wüsteste
Sei verbannt der Wüste;
Wo kein Mensch ist, den er plage,
Und kein Tierlein, das er kränke,
keine Blüt’ und keine Frucht,
Die er kick’ und breche
Dort ist er in sich gegangen,
Zahm und bändig, krank geworden,
Hat, verlassen von der Welt,
Sich zu Gott gewendet:
Wäre meine Mutter hier,
Ihres kranken Sohns zu pflegen!
Wäre hier mein alter Vater,
Dass er mich begrübe!
Wären hier doch meine Brüder,
Dass sie mich zu Garbe trügen!
Wäre hier mein treues Weib,
Um mich zu beweinen!
Aus dem Lande der Lebend’gen
Ich im Leben ausgestoßen,
Geb’ nun einsam in des Todes
Andere Verbannung.
Alle Lebenswünsche hab’ ich,
Alle Hoffnung aufgegeben,
Nur nicht meine Zuversicht,
Herr, auf deine Gnade.
Nimm den Ausgestoßenen an,
Gib dem Fremdling eine Heimat,
Dem in Wüsten Sterbenden
Öffne Deinen Garten!
Wie er so zum Tod sich schickt,
spricht zu Mose der Erbarmer:
Geh zur Wüste dort, um einen
Heil’gen zu begraben.
Mose geht und findet einen,
Der am Boden sterbend lieget,
Über welchem eine Schaar
Schwebt von Himmelsegen;
Deren einen nennt er Vater,
Und den anderen seine Mutter,
Und die andern alle Brüder,
Einen seine Gattin.
Und sie trösten lächelnd, flüsternd,
Den von Fieberwahn Umhüllten,
Dass er lauter Anverwandte
Glaubt zu sehn, zu hören.
Als den Tobten sie gestillet,
Schweben sie zum Himmel wieder,
Moses aber sieht und staunt:
Das ist der Verstoßne.
Herr, ist das der Ausgestoßne
Sünder, der Verworfne?
„Es ist der begnadigte
Wiederaufgenommne.
Da der Himmel seine Seele
Aufgenommen, wird die Erde
Auch aufnehmen seinen Leib,
Geh nur und begrab ihn!“

Aus: Sieben Bücher Morgenländischer Sagen und Geschichten

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