Gedichte im Islam

Vorklänge

von Muhammad Schams ad-Din (Hafiz) aus seinen Ghaselen, übersetzt von Friedrich von Bodenstedt 1877

Wer in Gesang und Melodie
Hafisens Kunst erreichen will,
Der gleicht der armen Schwalbe, die
dem Adler sich vergleichen will.

1.

Reich' her den Pokal, mit Wein gefüllt,
Der den Geist erhebt und das Herz enthüllt;
Ich meine den Wein der Unsterblichkeit,
Den Erlöser von sündiger Erblichkeit,
Der im Herzen nur schöne Gefühle nährt,
Und im Geist ein Feuer, das ewig währt.

2.

Tu was Du willst, nur Nichts was And're schädigt,
Das ist der Inhalt meiner Tugendpredigt.

3.

Freund, die Gelegenheit stehst Du entschweben
Schnell wie die Wolke, sie kommt nicht zurück!
Nutze sie, Freund, für dies teuere Leben,
Mit der versäumten versäumst Du Dein Glück.

4.

Durch Wissen kommt der Mensch zur Menschlichkeit;
Fehlt Wissen ihm, gleicht er dem Tiere nur.
Torheit ist Handeln in Unwissenheit,
Und Torheit findet nie der Wahrheit Spur.

5.

Samm'le Perlen echten Willens,
die Dir Niemand kann entwenden.
And'res Gut, wie Gold und Silber,
kommt gar leicht zu andern Händen.
Sind auch stark des Netzes Maschen:
Gottes Hilfe ist noch stärker –
Wie sonst gäb' es Menschen, die dem
Teufel selber widerständen!

6.

Durch mein Lied weht Veilchenhauch,
Und der Duft von Rosen auch.
Also süßen Odems voll,
Nährt es weder Neid noch Groll.
Dem Gemeinen bleibt es fern,
Und der Schönheit dient es gern.
Wer nicht an das Schöne glaubt,
Streue Asche auf sein Haupt.
Blindgebor'nen nur gebricht
Ganz und gar der Schönheit Licht.

7.

Wer stolz mich schmäht, weil Schönheit mich
stets lockt zu neuen Huldigungen,
Beweist nur, dass er selber sich
zum Höchsten niemals aufgeschwungen.
Das ewige Mysterium
der Schönheit fasst die Liebe nur;
Der Tor steht Mängel überall,
von eig'ner Wichtigkeit durchdrungen.
Weil er Nichts fühlt, begreift er Nichts,
und glaubt als Tadler groß zu sein:
Wer wahrhaft groß und weise ist,
wird von der Schönheit ganz bezwungen.

8.

Seht, wie schön jetzt im Frühling die Rose blüht!
Schöneres giebt's nicht!
Außer feurigem Wein für ein durstig Gemüt –
Schöneres gieb'ts nicht!
Doch die Rose verweht, eh' die Woche vergeht,
Darum schlürfet von Glut, die nimmer verglüht –
Schöneres giebt's nicht!
Wenn die Muschel zerbricht, kommt die Perle zum Licht;
Ein verständiger Sinn und ein feurig Gemüt –
Schöneres giebt's nicht!
Nur der kopflose Trop verliert nie den Kopf,
Doch Kopf und Herz in Liebe versprüht –
Schöneres giebt's nicht!
Alle Blätter wisch' rein, wer mein Schüler will sein,
Denn ein Herz, das ganz ohne Vorschrift erglüht –
Schöneres giebt's nicht!
Nicht um Gut und Gold sei der Schönheit hold:
Eine Liebe, die arglos wie Blumen erblüht –
Schöneres giebt's nicht!
Weh dem traurigen Wicht, den nicht freut Dein Gedicht,
O Hafis, ein Feuer das Liebe sprüht –
Schöneres giebt's nicht!

9.

Zwei und siebzig Secten streiten –
lass sie tun, wie sie's verstehn!
Die ans Tor des Irrwahns klopfen,
werden nie die Wahrheit sehn.
Wahres Feuer ist nicht jened,
das auf Herzen flackernd loht:
Wahres Feuer ist die Liebe,
die den Falter treibt zum Tod.
Hafis! Keiner hob den Schleier
vom Gedankenangesicht
So wie Du, seit man der Wortbrant
krause Haare kämmt und flicht!

10.

Wie schön bist Du, Schirás mit Deinen Auen!
Mög' immer segnend Dir der Himmel blauen!
Nach Dschafarábad1 und Mosella2 bringen
Die Winde Ambraduft auf weichen Schwingen.
Heil sei dem Roknabad, deß klare Welle
Ward Ghifer's4 ewiger Tugend Lebensquelle!
Komm nach Schirás! Des heiligen Geistes Gaben
Sind bei den Söhnen dieser Stadt zu haben.
Hier lockt Dich aller Zauber ird'schen Lebens,
Und ihm zu widerstehen suchst Du vergebens.
Sprich, Zephyr, mir von jenem süßen Munde,
Der mich bethört, - schickt er mir gute Kunde?
Will sich mein Lieb von meinem Blute nähren,
Wie Muttermilch werd' ich es ihm gewähren.
O weck' mich nicht vom Schlummer, zu zerstören
Mein schönes Traumbild, mag's mich auch betören!
Warum, o Hafis, wenn Dich Trennung peinigt,
Verstummest Du, als Liebe Euch vereinigt?

11.

Sag' der lieblichen Gazelle,
Morgenwind, von mir dies Wort:
Warum triebst Du mich so grausam
Durch Gebirg' und Wüsten fort?
Dein ward Alles, was die Liebe
spenden kann an süßem Glück –
Warum von des Sängers Munde
Hält es nur Dein Mund zurück?
Wer sich labt am Freudenbecher,
denke bei dem Gottgeschenk
Nicht ans Nächste nur: er sei auch
ferner Freunde eingedenk!
Ist von eig'nem Duft und Glanze
meine Rose so betört,
Dass sie auf die Sehnsuchtslieder
ihres Sängers gar nicht hört?
Nicht den klugen – nur den weisen
Mann fängt Schönheit immer leicht,
Doch vergebens stellt sie Schlingen
wo ein kluger Vogel streicht.
Wahrlich würde Deine Schönheit
ohne Fehl' und Makel sein,
Schlösse sie in ihrem Zauber
auch noch Tren und Liebe ein.
O gedenke meiner Mahnung:
Dankbarkeit ist Liebesschuld –
Zeig' Dich denn durch Liebe dankbar
für so lange Liebesgeduld.
Ist's ein Wunder, wenn im Himmerl,
hingerissen durch dein Lied,
Hafis, der Messias selber
tanzt zum Spiel der Anahid?

12.

Durch Nebenbuhler wird mein Herz empört,
Wie ein Erzähler stets den andern stört.
Zerschlug der Wächter meinen vollen Krug,
War's recht, dass ich ihm seinen Kopf zerschlug.
Wie Jesus Wunder wirkt ein guter Wein,
Und haucht den Toten neues Leben ein.
O Sänger, sing' ein Lied ins Ohr der Nacht,
Das Jupiter wie Venus tanzen macht!
In deinem Aug' liest Hafis stets auf's Neue
Die Sterne von dem Herrn und von der Treue.

13.

Rechtgläubige! Ich hatte weiland
Ein treuer Herz,
Das mein Vertrauter war und Heiland
in jedem Schmerz.

Auch Andern schlug es voll Erbarmen,
Gab guten Rat
Den Leidenden, und half den Armen
Durch gute Tat.

Mocht' ich mich ganz verloren wähnen:
Es blieb mein Hort -

Selbst aus der Sintflut meiner Tränen
Trug es mich fort.

Da plötzlich selbst ging's mir verloren,
Ich weiß das Haus;
Doch klagt' ich nur vor tauben Ohren,
Man stieß mich aus!

Ich streute Perlen des Gesanges
Im Lande umher,
Nun herzlos find' ich, irren Ganges,
Mich selbst nicht mehr.

14.

Wie lange seufz' ich noch im Dunkeln,
des Herzenslichts beraubt,
Bald gramvoll mir die Finger beißend
und bald auf's Knie gestützt das Haupt?

Der Wolf kam an des Löwen Stelle
und die Geduld entschwand;
Die Rohheit nahm den Herrscherzügel,
da floh auch der Verstand.

O Vogel guter Botschaft, schwinge
zu uns Dein Flügelpaar,
Dass unser Volk bald wieder werde
geehrt, wie's weiland war!

15.

Gottlob, die Weinhaustür ist aufgetan!
Ich bin auf's Neu' am Ziel der alten Bahn.
Die Krüge stehn des Feuergiftes voll –
Symbolisch nimmt's der Tor im frommen Wahn.
Ich aber nehm' es, wie es schmeckt; - o Hafis!
Dich kennen nur, die Fackeln brennen fah'n!

16.

Wirf, Hafis, von Dir die Kaputze,
Und mach' Deiner Leben Dir zu Nutze.
Du weißt, wie häufig Trug und Schande
Sich hüllt in heilige Gewande.

17.

Gleichgültig ist dem Auge höchster Liebe
Die Form der Anbetung im Weltgetriebe.
Ob aus Moschee, aus Kloster oder Weinhaus:
Wie kommen Alle doch zuletzt ins Beinhaus.

18.

Ich gehe Erd' und Himmelsflur
für Wein und wahre Liebe hin,
Denn als Trabant der Liebe nur
Hat Erd' und Himmel für mich Sinn.
Und würde mir die Gunst geraubt
Durch einen Freund – ich bliebe fest,
Denn Schande Dem, der Herz und Haupt
Nicht für den Freund aus Liebe lässt!

19.

Lang' einsam in der dumpfen Zelle
Wusst' ich von Wein nichts und Gesang,
Bis mir der Liebe Wunderquelle
ins Herz und auf die Lippe sprang.
Der Wein wird nun zum Fleckentilger
Auf meiner Kutte, mir zum Glück;
Sein Anteil bleibt dem Erdenpilger
Vom Ewigen doch stets zurück!

20.

Ich hielt vor Zeiten oft Homilien
Im Garten mit den freien10 Lilien,
Dir mir erklärten: frei von Sorgen sein
Lehr' uns das Grab nur, oder guter Wein.
O Hafis, wer von sich hienieden
Behaupten will, er sei zufrieden:
Hat einen Fuß schon auf das Grab gestellt,
Denn dauernd Glück gibt’s nicht in dieser Welt.

21.

Obgleich ich zum Dienst des Himmels geboren bin:
Seht, wie ich in irdischer Liebe verloren bin!
Schiras birgt Schätze der Schönheit, doch nicht für mich,
Obgleich ich verliebt bis über die Ohren bin.
Nicht trunken durch Wein, nur durch glühenden Augen,
Seht, wie ich zum Opfer des Rausches erkoren bin.
Durch sechs Tore lässt Schiras die Schönen ein -
O dass ich nicht Eigner von aller sechs Toren bin!

22.

Der heuchlerische Prediger mag meine Worte tadeln,
Er ist kein solcher Glaubensheld, den gute Werke adeln.
Gut trinken und gut handeln kann kein menschlicher Verstoß sein,
Sonst müsste das Verdienst des Tier's, das keinen Wein trinkt, groß sein.
Allmächtig ist das Göttliche; drum, Herz, lass Furcht und Zweifel;
Zu Salomon'scher Weisheit kommt kein nüchtern dummer Teufel.
Des Himmels Huld und Segen eint sich nur mit Herzensreine;
Korallengut und Perlenschmelz springt nicht aus Klotz und Steine.

23.

Verlangt von Deinem Freunde Treue Du,
Leb' selbst so treu, dass er desgleichen tu.
Vertrau'n beweis dem Freund in Tat und Wort;
Dein Herz sei seines Herzens Rat und Hort.
Leb' so, dass, wenn Du strauchelst, Engelshand
Dich führen mag zum Ziel, das Dir entschwand.

24.

Sei tugendhaft am Tage und Wein trink' nur bei Nacht,
Da er bei Tag den Spiegel des Herzens trübe macht.
Erst wenn der nächt'ge Schleier der Sonne Haupt verhüllt,
Werd' aus der Flut des Bechers Dein Herz mit Glut erfüllt.

25.

Wer keine Liebe sä't und nicht
der Schönheit Rosen pflückt,
Wacht ängstlich über Tulpen, die
des Sturmes Tosen pflückt.

26.

Was nützt in Halle und Moschee
Mir alles Schulgezänk der Welt,
Wenn ich nicht Augen leichten seh'
Von Weisheit, die das Herz erhellt.
Der Richter Yesd's wohnt im Palast,
Der als ein Quell der Weisheit gilt,
Doch merkt, wer auf sein Urteil passt,
Dass keine Weisheit daraus quillt.

27.

Nimm Dein Schicksal, wie Dir's Gott beschieden,
Seinen Ratschluss ändert Nichts hienieden.
Hat er Dich in Niedrigkeit gestellt,
Bringst Du's nie zur Hoheit in der Welt.
Sind aus schwarzen Läden Die dir Maschen
Des Geschicks gewoben, wird es selbst
Mekkas's heiliger Quell11 nicht weiß Dir waschen.

28.

O, dass verwelkt der Tugend blühend Kleid!
Wär's doch umsäumt vom Saum der Ewigkeit!
Der Lebensquell versiegt, und wir gewahren
Mit Schmerz, dass wir nicht bleiben, was wir waren.
Wir scheiden von Verwandten und Genossen,
Weil es des Himmels Ratschluss so beschlossen;
Selbst Brüder trennen sich; unwandelbar
Bleibt nur am Himmel das Pherkadenpaar.

 

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