Die beiden Gulden
Hareth Ben Hemmam erzählt:
Mich hielt mit frohen Genossen
ein trauter Kreis
umschlossen,
von welchem eingeschlossen war Geselligkeit
und Gefälligkeit
und ausgeschlossen Misshelligkeit.
Und
während wir nun die Fäden der Reden hin und wieder spielten
und im Schwanken der Gedanken uns unterhielten
mit
Geschichten
und Berichten
und Gedichten;
trat herein ein
Mann mit gebrechlichem Mantel
und schwächlichem Wandel,
der den einen Fuß schleifte
und auf einen Stab sich steifte;
der sprach: O ihr köstlichen Steine der Schreine!
o ihr
tröstlichen Scheine der Reine!
Froh gehen euch auf die Tage
und unter ohne Klage.
Freundlich weck' euch der
Frühschein,
und lieblich schmeck' euch der Frühwein.
Seht
einen Mann, der einst besessen
Haus und Hof, Esser und
Essen,
Weiden und Weidende,
Kleider und zu Kleidende;
Gabe, zu schenken,
Labe, zu tränken,
Äcker und Äste,
Feste und Gäste.
Doch es schnob der Sturm des Leides,
und
es grub der Wurm des Neides,
und der Einfall der Unfälle
brach über des Glückes Schwelle;
bis mein Hof leer ward
und dünne mein Heer ward,
mein Brunnen erschöpft,
mein
Wipfel geköpft,
mein Lager staubig,
mein Barthaar straubig,
mein Gesinde murrend,
meine Hunde knurrend;
im Stalle
kein Rossegestampf,
in der Halle kein Feuerdampf;
dass mir
der Neider
ward zum Mitleider,
und der Schadenfroh
vor
meinem Schaden floh.
In des Unglücks Klammer,
in der Armut
Jammer
ward unser Schuh die Schwiel' am Fuß
und unsre
Speise der Verdruß.
Wir schnürten knapp den Leib zusammen,
um zu ersticken des Hungers Flammen.
Ausging uns des Stolzes
Befiederung,
und wir wohnten in der Niederung.
Statt Rosse
blutig zu spornen,
gingen wir uns wund auf Dornen.
Der Tod
bleibt unsre Zuflucht vor Bedrängnis;
wir klagen an das
säumende Verhängnis.
Oder ist hier ein Beirätiger,
Menschenfreundlicher, Gutthätiger,
der einen Kraftlosen,
Haftlosen stütze,
ein Tröpflein der Milde auf einen
Saftlosen sprütze?
Bei dem, der mich hat entsprossen lassen
von Kaile!
(Ein arabischer Stammname, dessen sich hier Abu
Seid gelegentlich bedient)
der den Mangel mir gab zu teile!
ich habe nicht, wo ich
die Nacht verweile.
Hareth Ben Hemmam spricht:
Um seine Notdurft zu letzen
und zugleich seinen Witz auf eine Probe zu setzen,
nahm ich
ein Goldstück und wies es
und sagte: Dein ist dieses,
wenn
du uns in Versen sein Lob lässest hören.
Und auf der Stelle
ließ er sprudeln seine Brunnenröhren:
Gesegnet sei der Gelbe mit dem lichten Rand,
Der wie die Sonne wandelt über Meer und Land,
In jeder Stadt daheim, zu Haus an jedem Strand,
Gegrüßt mit Ehrfurcht, wo sein Name wird genannt.
Er geht als wie ein edler Gast von Hand zu Hand,
Empfangen überall mit Luft, mit Leid entsandt.
Er schlichtet jedes menschliche Geschäft gewandt,
In jeder Schwierigkeit ist ihm ein Rat bekannt.
Er pocht umsonst nicht an die taube Felsenwand,
Und etwas fühlt für ihn ein Herz, das nichts empfand.
Er ist der Zaubrer, dem sich keine Schlang' entwand,
Der Schöne, welchem keine Schönheit widerstand,
Der Held, der ohne Schwertstreich Helden überwand;
Der Schwachen Kräfte giebt und Thörichten Verstand,
Und Selbstvertraun einflößet, das mit Stolz ermannt.
Wer ihn zum Freund hat, ist den Fürsten anverwandt,
Wenngleich sein Stammbaum auf gemeinem Boden stand.
Der trifft des Wunsches Ziel, dem er den Bogen spannt.
Er ist des Königs Kron' und seiner Herrschaft Pfand,
Er ist der Erde Kern, und alles sonst ist Tand.
Und wie er war am Ende,
streckte er seine Hand nach der
Spende
und rief: Wer verspricht, muss segnen;
die Wolke,
die donnert, muss regnen.
Da gab ich ihm das Goldstück hin
und sprach: Sei es dir zum Gewinn.
Er schob es in seinen
Mund
und sprach: Gott erhalte mir's gesund!
Dann macht' er
sich auf, von dannen zu wanken,
mit Grüßen und Danken.
Doch der Duft des Geistes, den er verstreute,
berauschte
mich so, dass ich nicht Aufwand scheute.
Ein zweites
Goldstück nahm ich aus der Tasche
und sprach: Da, hasche.
Dieses ist dein, wenn du nach seinem Adel
uns nun auch hören
lassest seinen Tadel.
Da ließ er auf der Stelle
noch
einmal rauschen die Welle:
Verflucht der Heuchler mit dem doppelten Gesicht,
Dem kalten Herzen und dem Lächeln, das besticht.
Er ziert sich wie ein Liebchen, und wer liebt es nicht?
Und wie Verliebte schmachtet er, der Bösewicht.
Er stammt vom Abgrund, aus den Finsternissen dicht,
Doch überstrahlt sein falscher Schein der Sonne Licht;
Die Wahrheit dringt nicht durch das Trugnetz, das er
flicht,
Er gibt der Welt in allem Bösen Unterricht,
Lehrt, wie man falsche Eide schwört und Treue bricht.
Er ist's, um den man streitet, tobt und kämpft und ficht,
Er ist's, der aus des Richters Mund dein Urteil spricht,
Um den der Dieb die Hand verliert am Hochgericht.
Für ihn verkauft man seinen Glauben, seine Pflicht,
Für ihn erkauft der Schlechte sich ein Lobgedicht.
Er ist's, um den das Herz aus Furcht dem Geiz'gen bricht;
Er ist's, um den des Neides Blick den Reichen sticht.
Das schlimmste ist: Wer ihn bewahrt, dem nutzt er nicht;
Und wer ihn nutzt, der tut dadurch auf ihn Verzicht.
Darum verachtet ihn ein edler Mann und spricht:
Du Taugenichts, hinweg von meinem Angesicht!
Ich rief: Gott müsse deinen edlen Mund vergulden!
Doch er
rief: Versprechen macht Schulden;
und ich gab ihm den
zweiten Gulden
und sprach: Verwend ihn zum Erwerb von Gottes
Hulden.
Er schob ihn mit Dankgeflüster
in den Mund zu
seinem Geschwister
und hinkte ab am Stabe,
preisend Geber
und Gabe.
Hareth Ben Hemmam spricht: Mir sagte das Herz, es sei Abu
Seid,
und seine Lahmheit ein angelegtes Kleid.
Ich hielt
ihn an und rief: Bei Gottes Gnade!
dein Witz verriet dich;
warum gehst du nicht grade?
Er sprach: Und bist du der
Hareth?
so bleibe mir ewig schwarz gehaaret,
der Luft
gepaaret,
den Frohen und Edlen gescharet.
Ich sprach: Ich
bin der Hareth Ben Hemmam;
wie geht es mit dir und deinem
Kram?
Er sprach: Bald frisch, bald lahm;
ich segle mit
zweierlei Winden,
gelinden und ungelinden.
Ich sprach: Du
solltest dich schämen,
Zuflucht zu einem Gebrechen zu
nehmen.
Da verfinsterten sich seine Mienen
und er sprach:
Lass dir dienen!
Ich hinke, doch nicht aus Vergnügen am Hinken,
Ich hink', um zu essen, ich hink', um zu trinken.
Ich hinke, wo Sterne der Hoffnung mir winken,
Ich hinke, wo Gulden entgegen mir blinken.
Was man nicht erfliegen kann, muß man erhinken.
Viel besser ist hinken, als völlig zu sinken.
Die Schrift sagt: Es ist keine Sünde, zu hinken.
(Der Koran
sagt bei Gelegenheit einer Aufmahnung zum heiligen Kampfe:
Doch wer hinkt, für den ist 's keine Sünde (nämlich vom Kampfe
zu Haus zu bleiben).