Über die Hintergründe dieser Differenzen
Sämtliche Kalifen, die nach dem Dahinscheiden des Gesandten
Gottes (s.) das Zepter ergriffen und ihre Herrschaft als
eine islamische bezeichneten, waren von Grund auf gegen
Ahl-ul-Bayt (a.s.) eingestellt. Ihre kontinuierliche Feindschaft
wurde durch eine “Wurzel” ernährt, die niemals “vertrocknete”.
Der Gesandte Gottes (s.) hatte im Zusammenhang mit
seinem Ahl-ul-Bayt (a.) gesagt, dass es mit außerordentlichen
Qualitäten ausgerüstet sei. Unter anderem mit vollständigem
Wissen über Inhalt und Aussagen des Heiligen Koran sowie all
das, was “halal” und “haram” ist Auch das die islamische Ummah
verpflichtet sei, die Unfehlbaren Imame (a s) und deren hohen
Rang zu respektieren und zu würdigen Dieser Aufforderung kamen
jedoch nicht alle der islamischen Gesellschaft nach.
Zudem machte Hadrat Muhammad (s.) gleich zu Beginn
seiner öffentlichen Verkündigung seine Verwandtschaft - die er
zu sich eingeladen hatte, um ihr seine Prophetenschaft und die
göttliche Botschaft kundzutun - darauf aufmerksam, dass Ali (a.)
sein Nachfolger sei. Auf diesen Tatbestand hatte er die
Muslime des öfteren, unter anderem in den letzten Tagen seines
Lebens, hingewiesen.
Dennoch..., nach seinem Dahinscheiden wählte die Ummah
andere als Ali Ibn Abi Talib zu ihrem Kalifen bzw.
“Statthalter des Propheten”. Sie verweigerten - dem Wort des
Propheten zuwiderhandelnd - Ahl-Bayt (a.s.) die Führung der
islamischen Gesellschaft, sahen in ihnen ständige
“Konkurrenten” und eine große Gefahr für ihren “Thron”. Kurz,
sie fürchteten das Da-Sein Ahl-Bayts (a.s.) und nutzten jede
Gelegenheit, es zu vernichten.
Die wesentliche Ursache der Differenzen zwischen ihnen und
Ahl-Bayt (a.s.) aber beruhte in folgendem: Obwohl eine jede
islamische Regierung verpflichtet ist, die islamischen
Weisungen und Gebote zu beachten und für deren Durchführung zu
sorgen, fühlten sich die Kalifen, die nach dem Gesandten
Gottes (s.a.a.s) die Herrschaft in die Hand nahmen, an diese
ihre Aufgabe nicht gebunden. Weder achteten sie auf eine
gewissenhafte Praktizierung der göttlichen Gebote noch hielten
sie sich getreulich an die Sunna des Propheten.
An mehreren Stellen des Heiligen Koran warnt der Erhabene
Gott die islamische Ummah vor Entstellung und Abänderung
Seiner Gebote. Hadrat Muhammad (s.) lebte den Muslimen
die gewissenhafte Einhaltung und Praktizierung dieser
himmlischen Weisungen vor und machte ihnen im Verlaufe seiner Prophetenschaft klar, dass die Gesetze der Religion Gottes
unantastbar und durchzuführen sind. Wo und wann und im
Zusammenhang mit welchen Personen auch immer...
Die Anordnungen Gottes - die “Schari’ah” - sind allzeit
verbindlich, für jedermann. Selbst für den Propheten. Niemand
ist berechtigt, sie zu übergehen oder abzuwandeln.
Wird dieses Prinzip - das heißt, dass Weisungen und
Richtlinien des Gesetzes für alle gelten - beachtet, kann
soziale Gerechtigkeit entstehen und wird es möglich, dass
Privilegien und Bevorzugungen aus der menschlichen
Gesellschaft schwinden. Selbst der Gesandte Gottes, der von
Gott eingesetzte “Dirigent” der Gesellschaft, dem diese zu
Gehorsam verpflichtet war und ist, nahm für sich nicht das
geringste Privileg in Anspruch.
Was für die anderen galt, galt auch für ihn. Sein Leben war
in keinster Weise üppiger oder prächtiger als das der
einfachen Bevölkerung. Im Gegenteil, er lebte bewusst so
schlicht und bescheiden, dass in den Ärmsten der damaligen
Gesellschaft kein “Nagen” entstand..., mit anderen Worten, dass
sie ihr Dasein im Vergleich mit dem seinen nicht ais
“armselig” empfanden. Kurz, sein Lebensstandard war nicht
höher als der der Allgemeinheit.
Was das “offizielle Protokoll” anbelangt, ist zu sagen, dass
er keines wollte. Er regierte ohne Aufwand und Prunk, schlicht
und einfach. Er hielt es nicht für richtig und angebracht, das
Öffentliche Budget mit derlei unnötigen Ausgaben zu belasten
oder gar die Bevölkerung dafür aufkommen lassen. Mit anderen
Worten, er lebte und residierte so bescheiden, dass niemand,
der ihn nicht kannte, ihn auf den ersten Blick als Oberhaupt
des islamischen Staates erkannt hätte...
Niemanden bevorzugte er vor den anderen. Alle waren in
seinen Augen gleichwertig..., Frauen und Männer, Angehörige
angesehene Familien oder die Durchschnittsbevölkerung, arm und
reich, stark und schwach, Städter oder Beduinen, Freie oder
Unfreie. Und niemanden verpflichtete er zu mehr als das Gebot
Gottes auftrug. Das er sich vor den Einflußreichen und
Mächtigen verneigt oder sich der Willkür irgendwelcher
Tyrannen gefügt hätte, war ausgeschlossen.
Bei ein wenig Nachdenken wird deutlich - besonders auch
unter Berücksichtigung all der Erfahrungen und Erkenntnisse,
die die islamische Gemeinde nach dem Dahinscheiden des
Gesandten Gottes bis zum heutigen Tage machte - das Hadrat
Muhammad (s.) mit seinem Vorgehen und Verhalten eine
einheitliche und gewissenhafte Durchführung der göttlichen
Gebote und Weisungen in der Gesellschaft bezweckte als auch,
dass sie gegen Veruntreuung, Entstellung und dergleichen
bewahrt blieben.
Die Kalifate nach ihm jedoch orientierten sich nicht an
seinem Brauch und Vorbild (Sunna). Ihr Vorgehen und
Herrschaltsstil entsprach keinesfalls dem seinen. Sie
handelten nach ihrem eigenen Gusto, ohne sich nach dem zu
richten, was der Prophet ihnen “vorgelebt” hatte. Mit dem
Resultat, das sich
Erstens: innerhalb kürzester Zeit starke
Klassenunterschiede in der Gesellschaft bemerkbar machten. Die
Ummah zerfiel in zwei Gruppen, in die der Mächtigen und
Schwachen. Leben, Ehre und Besitz der einen wurden zum
Spielzeug der anderen.
Zweitens: Die Kalifate begannen, die islamischen Gesetze
abzuändern. Sie verstießen gegen die göttlichen Weisungen...,
bisweilen unter dem Vorwand, der Gesellschaft damit einen
Dienst zu erweisen oder aber um ihre eigene Macht und Politik
dadurch abzusichern.
Diese Situation faste von Tag zu Tag mehr Fuß, breitete
sich aus und spitzte sich schließlich so zu, das sich die
Kalifate - wenngleich sie sich als “islamische Regierungen”
bezeichneten - keinen Deut darum scherten, ob die islamischen
Gesetze eingehalten wurden oder nicht. Was aber mit
Bestimmungen und Weisungen geschieht, für deren rechte
Durchführung nicht gesorgt wird, ist allseits bekannt.
Kurz..., dieweil die sogenannten islamischen Regierungen zu
Zeiten AhI-ul-Bayts (a.) die göttlichen Gebote nach eigenem
Gusto abänderten und gar außer acht ließen - weshalb sich ihr
Lebens- und Herrschaftsstil von dem des Gesandten Gottes (s.)
so grundlegend unterschied -betrachteten es die Imame (a.)
als unbedingt erforderlich, das die koreanischen, d.h.
göttlichen Gesetze und die Sunna des Propheten getreulich
eingehalten wurden.
Diese ihre Ansicht, auf der sie beharrten, war den Kalifen
ein “Dorn im Auge”. Daher war ihnen jedes Mittel recht,
Ahl-ul-Bayt (a.) aus dem Wege zu räumen und das Licht ihrer
Rechtleitung zum Erlöschen zu bringen.
Die Rechtleitenden Imame (a.) aber verzagten nicht,
sondern bemühten sich trotz aller Schwierigkeiten und
Repressalien unermüdlich darum, ihrer göttlichen Aufgabe
nachzukommen, die Gesellschaft über die Wahrheiten aufzuklären
und redliche, aufgeklärte Muslime heranzubilden.
Um sich über ihre Erfolge ein Bild machen zu können,
empfiehlt es sich, in die Geschichte hineinzuschauen. Wie groß
war die schiitische Gemeinschaft bereits in den fünf Jahren,
in denen Amir at Muminin AIi (a.) das Kalifat innehatte!
Allerdings war sie schon in den 25 Jahren, in denen Ali ibn
Abi Talib (a.) das Regierungsamt verweigert ward und er in
seien eignen bescheidenen vier Wänden ein zurückgezogenes,
einsames Dasein fristete, zu einer stattlichen Anzahl
angewachsen.
In Scharen strömte die Schi’ah - herangebildet von Imam
Sadschad (a.) - zum Hause Imam Baqirs (a.s.). Und
Hunderttausende scharten sich um Imam Ridha (a.)..., ein
Ergebnis der Bemühungen Imam Mussa ibn Dschafars, der selbst in
finsteren Kerkerzellen jede Gelegenheit nutzte, die Wahrheiten
zu publizieren.
Ja, aufgrund der ununterbrochen erfolgenden Aufklärung und
Unterrichtung Ahl-ul-Bayts (a.) vermochte sich die Schiah, die
nach dem Dahinscheiden des Gesandten Gottes nur eine kleine
Gruppe darstellte, zu jener umfangreichen Gesellschaft zu
entwickeln, zu der sie bis zu jener Zeit, da die “Gaybat” des
Zwölften Imam (a.) begann, herangewachsen war.