Idschtihad und Taqlid
All die Dinge, die der Mensch zu seinem Leben benötigt und
beschaffen muss, die vielen Bedürfnisse, um deren Beseitigung
er sich bemüht, die zahlreichen Erkenntnisse, deren Resultate
so gravierenden Einfluss auf unser Wohlergehen nehmen bzw.
nehmen können, so sie berücksichtigt werden..., sie sind so
vielfältig, dass sie nur schwerlich alle zu nennen sind.
Geschweige denn, dass der gewöhnliche Erdenbürger über sie alle
zu genauesten Kenntnissen und Fachwissen finden könnte.
Andererseits aber benötigt der Mensch, um richtig handeln
und sich richtig entscheiden zu können, Wissen, Kenntnisse und
Aufklärung. Das heißt also, dass er entweder selbst über die
betreffenden Angelegenheiten ausreichend Bescheid wissen oder
aber die Kenntnis anderer, die diesbezüglich versiert und
kompetent sind, nutzen muß. Wir gehen zum Beispiel zum Arzt,
wenn wir krank sind und lassen uns von ihm heilen. Ohne seine
Hilfe (und selbstredend den göttlichen Willen. denn alles
liegt in Gottes Hand) vermochten wir nicht in genesen. Wenn
wir ein Haus bauen wollen, wenden wir uns an einen Architekten
bzw. Bauingenieur. der uns den Bauplan anfertigt und die
Bauarbeiten überwacht. Für Fenster und Türen ist der Schreiner
zuständig und so fort...
Mit anderen Worten: Abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen
sind wir in unserem Leben auf das Fachwissen anderer
angewiesen. Wer sagt, dass er Wissen und Rat anderer nicht
bräuchte und nicht gewiss sei, das zu tun, was andere ihm
sagen, da er völlig selbstständig entscheide und denke, redet
entweder unüberlegt oder aber ist so von Dunkeln geplagt, dass
er jeglichen Sinn für Objektivität verloren hat.
Der Islam, dessen Schariah mit der menschlichen Natur
konform geht, hat seinerseits ebenfalls den eben beschriebenen
Weg vorgesehen. Er ordnet an, dass sich die Muslime über die
göttlichen Gebote und alles, was die Religion sagt,
genauestens zu informieren haben..., und zwar anhand des
Koran, der Sunna und Belehrungen des Gesandten Gottes (s.)
sowie der Erklärungen der Imame (a.) aus seinem Hause.
Es versteht sich von selbst, dass dieses - d.h. zu präzisen
Kenntnissen über die Religion und deren Weisungen zu kommen -
nicht jedermanns Sache ist. Ein langwieriges Studium und
genaue Kenntnisse und Forschungen sind dazu vonnöten und so
manches andere mehr. Daher sind insbesondere jene, die sich
damit ernsthaft und gewissenhaft befassen aufgerufen, diese
Kenntnisse über Gott und Seine Anordnungen in Erfahrung zu
bringen und mitzuteilen. Das heißt, diejenigen, die nicht die
Möglichkeit haben, durch geeignete wissenschaftliche Studien
und Forschungsarbeiten die göttlichen Gebote und Belehrungen
selbst zu ergründen bzw. zu “exegieren, haben sich folglich an
jene zu wenden, die in diesem Metier bewandert sind und
mittels logischer Begründungen und wissenschaftlich-exakter
Studien und Nachweise die Verordnungen der Religion und
entsprechende Erkenntnisse ausarbeiten. Was diese Geistlichen
Gelehrten ihnen sagen, befolgen und praktizieren sie.
Die Gelehrten, welche die göttlichen Weisungen exegieren,
sind “Mugtahid. Und das, was sie zu ihrer Arbeit und Leistung
befähigt, ist ihr “Idschtihad”, ist ihr hoher Wissensgrad, der
einhergeht mit Wissensfleiß. Wer sich an ihren Erkenntnissen
orientiert, ist “muqlid”, und sein Sich-Orientieren an dem
Mudschtahid wird in der islamischen Terminologie als “Taqlid”
bezeichnet.
Auch dieses ist zu wissen, nämlich: “Taqlid” betrifft
gottesdienstliche Belange als auch Angelegenheiten der
Lebenspraxis. Was jedoch Überzeugung und weltanschauliche
Themen - Usul- anbelangt, ist “Taqlid” fehl am Platze. Denn im
Zusammenhang mit Glauben, Anschauung und Überzeugung genügt es
nicht, sie “blind” zu übernehmen. Das würde dem Charakter des
“Glaubens” widersprechen. Es geht nicht an, zu sagen: ‘Gott
ist Einer, es gibt nur Einen Einzigen Gott”, nur weil unsere
Eltern und Großeltern so sprachen. Oder aber nur deswegen,
weil die “anderen Muslime” davon überzeugt sind, zu
‘bezeugen’:
Die Auferstehung ist eine Realität.
Ein jeder ist also verpflichtet, sich über die Gründe für
die Rechtmäßigkeit der Glaubenssäulen - “Usul Din” - zu
informieren..., auch wenn auf noch so einfache Weise. Das
heißt, er muss sie kennen, um sie ‘überzeugt” bezeugen zu
können.